Stefan Bock
Vom Ungleichgewicht der Geschlechter
www.kultura-extra.de, 13.07.2018

Kurz aber keineswegs schmerzlos sind die choreografierten Chor-Abende von Marta Górnicka, die dem Berliner Theaterpublikum schon durch ein paaer Gastspiele (Magnificat, 2014 oder Hymne an die Liebe, 2017) bekannt ist. An den Münchner Kammerspielen hat die polnische Regisseurin nun ihre neue Produktion mit dem Titel Jedem das seine – Ein Manifest herausgebracht. Sie verwendet dafür neben Texten der Schweizer Dramatikerin Katja Brunner auch politische Statements und Werbetexte sowie Zitate aus über 100 Jahren emanzipatorischer Frauenbewegung. Der Chor, bestehend aus MünchnerInnen und SchauspielerInnen des Kammerspiel-Ensembles, rezitiert hier u.a. aus dem Manifest der futuristischen Frau von der französischen Dichterin Valentine de Saint-Point aus dem Jahr 1912, dem 1967 veröffentlichten SCUM-Manifesto von Valerie Solanas und dem New Yorker Me Too-Aufruf von 2017. Ein chorisches Libretto, das sich als zeitkritische Text-Collage mit aktuellen Themen wie Sexismus, Misogynie und Gewalt gegen Frauen beschäftigen. Die Produktion wird dann in der nächsten Spielzeit auch am Maxim Gorki Theater zu sehen sein.

„Jedem das seine“, der Spruch des griechischen Philosophen Platon, der durch die Faschisten zynisch missbraucht über dem Tor des KZ Buchwald stand, dient hier als provokante These und sorgte bereits vor der Premiere für Reaktionen in der konservativen Münchner Presse bezüglich der angeblichen geschichtlichen Gedankenlosigkeit bei der Verwendung dieses Zitats. Was Górnicka nicht anficht, dies gleich in die Inszenierung einzubauen und über das KZ Dachau als eines der produktivsten Lagerbordelle zu berichten. Sie legt diese Thesen von Faschismus, Verteilungsungerechtigkeit und Gewalt an Frauen zwei Affenhandpuppen in den Mund, ansonsten schreien, stampfen und formieren sich die Frauen und vier Männer im Takt der aus dem Publikum heraus dirigierenden Regisseurin.

„Der Mensch ist ein historisches Konstrukt“ hören wie da zum Beispiel. Oder „Der wahre Reichtum des Volkes stammt von der Arbeit der Vaginen, nicht der Hände.“ In rhythmisch choreografierten Wiederholungen werden die chorisch vorgetragenen Satzfetzen und Parolen zur Melodie des Stücks, die variierenden Stimmen des Chors zum Instrument, die im Stakkato gebellten Worte wie „Fleisch“ oder „Mensch“ verfremden sich dabei in der ständigen Wiederholung akustisch bis zur Unkenntlichkeit. Aggressiv wird da die True Love Machine angeboten, blondlockigen Lolitaköpfchen als Gefühligkeitsroboter und Benefits of Technolegy, wobei sich sich der Chor in Posen wirft, marschiert oder wütend ins Publikum zeigt. Gemeint sind wir und die kapitalistische Werbewelt, die Frauen und Liebe zur Ware macht. Immer bereit zur Selbstoptimierung.

Wie zum Hohn singt da eine der Darstellerinnen Elvis Presleys “Can’t help falling in love” oder die mehrstimmig im Kanon vorgetragene Bach-Kantate “Nur jedem das Seine / Muß Obrigkeit haben”. Das sind die wenigen nachdenklichen Ruhemomente dieser aufreibenden Inszenierung, in deren Zentrum noch die Figur des Twitter-Gods Donald Trump steht, dem momentanen Inbegriff des Chauvinisten, den Schauspielerin Anne Ratte-Polle mit nacktem Oberkörper und Blond-Perücke karikiert. „Command Control Communication Intelligent“, „Donald’s free speach“ als Social-Media-Krake in einer frivolen Tanzperformance mit anschließendem Ringkampf.

An die Rückwand projizierte Zwischenüberschriften teilen den Abend in bestimmte Abschnitte. Auch um die Revolution geht es da, wobei sich hier der Chor nicht ganz sicher ist. „Ich bin eine…“ bzw. „…keine Rebellin“ skandiert das Ensemble in einem wechselnden Ja-Nein-Choral. Wütend skandieren sie: „Wir kotzen in den Gender-Gap!“, immer bereit für Vater- und Mutterland. „Wir, die Frauen sind Fremde, deshalb dürfen wir nicht sein, jedenfalls nicht bei uns.“ wird zum großen Anklagechor des Abends, an dessen Ende die Verabschiedung des weißen Mannes steht. Ein Abend der einen in seiner Direktheit und Intensität aufwühlt, in den Bann schlägt und lange nicht wieder loslässt.

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